Wachsmasken Herstellung in Paris, Dominik Kälin – Teil 5

Arbeitsalltag, Besuch bei Maskenfabrikantin, Maskenherstellung, Maskenhistorie

Wir haben bereits fünf Uhr abends. Die Sonne geht unter. Der Maskenfabrikant Dominik Kälin (1841-1909) stellt uns zwei Petroleumlampen auf den Tisch. Im flackernden Licht drücken wir Masken.

„Kannst du mir noch etwas über die Ausbildungszeit in Paris erzählen?“
„Sicher. Das war eine aufregende Zeit. Der Wachsbossierer Adelrich Oechslin (1823-1872) aus Einsiedeln, der Ehemann von Helena, die du ja bereits kennen gelernt hast, hatte durch seinen Beruf Beziehungen nach Paris. Er hat mir von grossen Maskenfabriken erzählt. Also bin ich eines Tages nach Paris gereist. Ich hatte keinen klaren Plan. Auf einem meiner ziellosen Streifzüge sah ich Masken in einem Schaufenster. Ich ging rein. Die Masken gefielen mir auf Anhieb. Sie waren viel dünner und leichter als die von Adelrich Oechslin. Die unterschiedlichen unifarbenen Masken waren bunt bemalt. Die dünne überzogene Wachsschicht roch angenehm. Ich fragte die Verkäuferin nach dem Namen der Hersteller. Sie nannte mir eine grosse Maskenfabrik, die der Italiener Marassi 1799 in Paris gegründet hat. Und erklärte mir auch gleich den Weg dorthin.
Noch am selben Tag stand ich in einer grossen Maskenfabrik in Paris. Ich fragte den damaligen Besitzer der Fabrik, ob ich bei ihm arbeiten kann und die Herstellung der Masken lernen könne. Womit er einverstanden war. Diese Fabrik hat Ende des 18. Jahrhunderts Italien als Hauptproduktionsort von Masken abgelöst. Ich glaube, heute werden dort immer mehr Masken aus Papier hergestellt. Unsere textilen Wachsmasken kosten mehr und sind weniger stabil als die Papiermasken. Ich interessierte mich damals vor allem für die Herstellung von textilen Wachsmasken. Sicher, ab und zu stelle ich heute auch noch welche aus Papier her.“ Dominik steht auf und wäscht die Hände: „Ich habe noch Fotografien aus dieser Zeit. Ich hole sie dir rasch.“ Ich schaue aus dem Fenster. Die blaue Stunde ist fast vorbei. Es schneit grosse Flocken.
„Hier, da habe ich gearbeitet. Ich war der einzige Mann ausser dem Chef. Die Angestellten waren alles Frauen. Es war eine grossartige Zeit!“

Zeitung, Almanach, Illustré du Petit Parisien, Maskenfabrik, Paris, Ende 19. Jahrhundert

„Nach fast einem Jahr ging ich dann zurück nach Einsiedeln. Im Koffer viele neue Masken. Helena Oechslin war begeistert von dieser Machart. Feine Pariser Wachslarven werden wir sie nennen, sagte sie voller Vorfreude. Ich hatte noch einen Monat Zeit, Masken für die Fasnacht herzustellen. Zur Feier gingen wir im Restaurant Drei Könige in Einsiedeln anstossen. Aloisia setzte sich an unseren Tisch. Wir kannten uns aus der Schule. Sie war begeistert von unserem neuen Produkt und wollte gleich mit anpacken. Am nächsten Tag stand sie pünktlich auf der Matte. Ich erklärte ihr die einzelnen Arbeitsschritte. Sie war damit einverstanden, dass ich ihr den Lohn erst nach dem Verkauf der Masken bezahlen kann. Tja, so haben wir uns kennengelernt. Heute sind wir 37 Jahre miteinander verheiratet. Wie du ja vorhin beim Kaffee gehört hast, war es nicht immer leicht. Heute geht es uns aber gut.“

Inserat von Helena Oechslin (1822-1909), 1877, Sammlung Chärnehus, Einsiedeln

Meine Hände haben mit dem Drücken der Masken innegehalten. Erst jetzt merke ich, dass ich lethargisch die Handbewegungen von Dominik beobachte und dabei komplett in der Erzählung aufging. Ich rücke mich auf meinem Stuhl zurecht. Tauche meine Hände in kühles Wasser und gleich anschliessend in den in der Zwischenzeit abgekühlten Leim.
„Dann stellen wir jetzt also Feine Pariser Wachslarven her? Was für ein hübscher Name.“
„In der Tat: ursprünglich eine schicke Sache, unsere Fasnachtsmasken.“
Dominik wirft mir einen Augenaufschlag zu.
Und erzählt weiter: „Ich habe in den letzten Jahren versucht etwas über diese Wachsmasken herauszufinden. Aber das ist alles sehr schwierig. Wachsmasken haben oft eine kurze Lebensdauer und weil sie als Verbrauchmaterial gesehen werden, fanden sie den Weg in Museen nur sehr selten. Aus diesem Grund ist es sehr schwierig etwas herauszufinden. Über eine Zeile in einem Buch bin ich erst vor Kurzem gestolpert. Und zwar habe ich gelesen, dass in der Zeit von Louis XIV Wachsmasken, le masque de cire, getragen wurden. Vielleicht kannst du ja weiter suchen. Hundert Jahre später hat man sicher noch bessere Möglichkeiten.“
„Das werde ich tun, sobald ich wieder zu Hause bin. Falls ich etwas herausfinde, werde ich es dich wissen lassen.“ Nach einer kurzen Pause füge ich nachdenklich hinzu: „Paris ist auf jeden Fall ein interessanter Ort, vielleicht gibt es da auch einen Bezug zum Theater.“
„Das kann ich nicht sagen. Ich weiss nur, dass es vor der Zeit von Marassi, also im 18. Jahrhundert, bereits kleinere Werkstätten in Paris gab, die Masken herstellten. Ich kann dir sonst gerne die Artikel geben. Vielleicht bringen sie dich weiter.“
„Das wäre perfekt.“
Wir müssen jetzt nur noch einen Rost voller Masken drücken, dann haben wir es geschafft. Es ist fast neun Uhr abends. Wir sprechen etwas über die alltäglichen Dinge als MaskenfabrikantInnen. Und ich erzähle ihm über das Leben der Maskenfabrikantin Rosa Müller. Nach der Arbeit essen wir noch eine Kleinigkeit. Und schliesslich fahre ich mit dem letzten Zug zurück nach Aroleid.

*Beitragsbild, Zeitung, Almanach, Illustré du Petit Parisien, Maskenfabrik, Paris, Ende 19. Jahrhundert