Nekrolog für Dominik Kälin

Archivierungsfrage, Maskenhistorie

Die überraschende Entdeckung im Buch Dr Tüüfel isch lous*** letzte Woche hatte mich von meiner Arbeit abgehalten. Also hatte ich mich hingesetzt und meine Vermutung, dass die im Buch beschriebenen Wachsmasken in direktem Zusammenhang zu meinem Atelier und dem früheren Maskenfabrikanten Dominik Kälin (1841-1909) stehen, niedergeschrieben. Mein Dokument schickte ich dem Autor des Buches. Und heute hat er mich angerufen. Ich kam gerade von der Arbeit und stand in der überfüllten Strassenbahn. Ausnahmsweise hob ich ab. Musste konzentriert zuhören und gleichzeitig Leute ein- und aussteigen lassen. A.B.*, so der Name, bedankte sich für meine Ausführungen und berichtete: „Der Name Dominik Kälin sagte mir nichts. Also habe ich in unserem Archiv nachgesehen. Ich habe einen Nekrolog für sie. Darin steht, dass er 1869 die Maskenfabrik gekauft hatte und 1871 in Paris sich als Maskenfabrikant weitergebildet hatte. Er starb 1909 in Einsiedeln.“
Noch mehr Leute stiegen ein. Ich quetschte mich gegen die Tür.
„Das freut mich ungeheuer zu hören! Sie bestätigen also meine Vermutung, dass Dominik Kälin die beschriebenen Wachsmasken im Buch hergestellt hat?“
„Ja, einen Teil davon. Ehrlich gesagt, kann ich mir das nicht erklären, wie wir diesen Namen übersehen haben. Wir haben damals ausführlich recherchiert, aber der Name Dominik Kälin tauchte nie auf.“
Ich lächelte vor mich hin. Das Leben ist wunderbar. „Das Schönste an dieser Entdeckung ist, dass die Wachsmaskenherstellung von Einsiedeln im 19 Jh. bis zum heutigen Tag überlebt hat. Ich stelle also Wachsmasken aus Einsiedeln her!“
A.B. lachte auf. „Das können Sie wohl sagen. Ich werde Ihnen eine CD mit den wichtigsten Dokumenten zusammenstellen.“
Eine Frage drängte sich mir auf: „Haben Sie eine Vermutung, von wem Dominik Kälin die Maskenfabrik kaufte?“
„Eigentlich müssen das die Maskenformen von einem Adelrich Oechslin (1823-1872) sein. Er war Wachsbossierer und fast der Einzige, der Masken herstellte.“
„Über ihn wird im Buch ausführlich berichtet. Oder?“
„Richtig. Über die Wachsbossierer von Einsiedeln wurde schon einiges geschrieben. Das waren angesehene Künstler.“
Die Tür geht auf und endlich ist es meine Station. Ich steige aus. Der kalte Wind bläst mir ins Gesicht. „Sie können sich jederzeit bei weiteren Fragen bei mir melden.“ Wir verabschieden uns. Ein tiefer winterlicher Atemzug. Eisig frisch.

Wachsbossierer Adelrich (Stefan) Oechslin, 1823- 1872, Sammlung Chärnehus, Einsiedeln

Die versprochene CD habe ich heute bekommen. Ich frage mich, warum über Dominik Kälin so wenig bekannt ist. Schliesslich gibt es einige Essays über die Wachsbossierer von Einsiedeln. Ich vermute, es liegt an der unterschiedlichen gesellschaftlichen Anerkennung. Die Wachsbossierer waren Künstler. Und Dominik Kälin ein Maskenfabrikant. Er selbst hat sich kaum als Künstler gesehen. Ich kann mir vorstellen, dass es ihm mehr um die Verkaufsmenge als um Einzelobjekte ging. Durch diese Verschiebung von Kunst zu Handwerk verändert sich die gesellschaftliche Anerkennung. Wachsmasken aus Einsiedeln stammen aus der Hochkultur und wurden zur Alltagskultur. In den Archiven in Einsiedeln gibt es folglich fast keine Dokumente und keine Objekte von Dominik Kälin. Hingegen gibt es noch vereinzelte Wachsmasken von dem Wachsbossierer Adelrich Oechslin. Mich interessiert, wie Dominik seine Arbeit zu dieser Zeit gesehen hat. Ich plane, ihn nächste Woche zu besuchen.

*Der vollständige Name ist der Drückerin bekannt
**Nekrolog für Dominik Kälin, Einsiedler Anzeiger, 1909
***Bingisser Ernst-Louis: Das künstlerische Umfeld der Wachslarvenherstellung, in: Dr Tüfel isch lous – Einsiedler Fastnacht. Kulturverein Chärnehus (Herausgeber). Einsiedeln 2004, S. 117 125.