Maskentanz 2019, Finale

Arbeitsalltag, Archivierungsfrage, Besuch bei Maskenfabrikantin, Im Atelier der Drückerin, Maskenherstellung, Maskenhistorie

Was für ein Erfolg. Alle Maskenfabrikantinnen sind gekommen. Ein riesiges Fest.

In der Mitte ein grosses, zehn Meter hohes Feuer. Zuschauer werden aufgefordert, sich einige Meter vom Feuer entfernt hinter einer Abgrenzung aufzuhalten. Wir, als Hudi verkleidet, betreten gemeinsam den Festplatz. Die Leute tanzen. Die Trommeln wirbeln.

Fasnacht 5.März 2019, Foto, Mike Flam

Wir beobachten. Tanzen nicht. Bewegen uns alle langsam im Halbkreis auf das Feuer zu. Sind still. Ein unsichtbares Band verbindet uns. Die Trommelschläge vibrieren in unseren Körpern. Die Augen starr auf das Feuer gerichtet. Die tanzenden Maschgraden machen uns den Weg frei. Sie rücken zur Seite. Schenken uns keine besondere Aufmerksamkeit.
Ich spüre die Wärme der Flammen. Zuerst an meinen Händen. Dann hinter der Wachsmaske. Einen Meter vor dem Feuer bleiben wir ohne Wort und Zeichen stehen. Das Feuer vor uns. Gleichzeitig heben wir den Kopf in die Höhe. Züngelnde Flammen.
Es ist warm unter der Maske. Ich spüre, wie sie sich an mein Gesicht schmiegt. Eine zweite Haut. Meine Mundbewegung werden eins mit der Maske.

Noch ein Schritt näher.

Der Wachs löst sich von der Haut. Er tropft. Auf meine Kleidung. Auf die Hand. Kurzer, angenehmer Schmerz. Beissende Hitze am Gesicht. Tränen fliessen. Wachstropfen. Ich löse mich auf. Werfe die Stofffetzen der Wachsmaske ins Feuer. Reste kleben an den Augenbrauen. Unangenehmer Geschmack im Mund. Mein Gesicht kommt zum Vorschein.

Ein letzter Trommelwirbel.

Nehme die Maschgraden um mich herum wahr. Sie weinen. Schreien. Trauern.

Plötzliche Stille.

Das ist mein Moment. Ich drehe mich um. Vom Feuer weg den Maschgraden zu. Ein tiefer Atemzug.
Meine Stimme durchbricht die Stille:
„Liebe Maschgraden, wir sind eure Maskenfabrikantinnen.“ Ein Gemurmel geht durch die Menge. Ich mache einen Schritt aus dem Halbkreis. „Mein Name ist Ari Drückerin. Ich stelle seit vielen Jahren eure Masken her. Wie jedes Jahr trauern wir gemeinsam um die vergangene Fasnacht. Verabschieden uns so vom Winter und läuten damit die Fastenzeit ein..“ Ich schaue in verweinte Gesichte. „Dieses Jahr weilen besondere Gäste unter uns. Ich habe all die Hudis eingeladen…“ Ich deute mit einer auslandenden Handbewegung zu den vergangen Maskenfabrikantinnen im Halbkreis. Inzwischen, wie ich, demaskiert. Wende mich wieder der Menge zu. Suche nach klaren Worten und Sätzen. „Wir sichern seit 150 Jahren die Herstellung der Wachsmasken für den Maskentanz.“ Die Maschgraden nähern sich uns langsam. Ich rede weiter:
„In den letzten Monaten haben wir uns kennengelernt. Und über unsere Arbeit gesprochen. Ich war in allen Werkstätten auf Besuch und habe dabei viel Spannendes erfahren.“ Ich mache noch zwei weitere Schritte und schaue in die Menge. Ich achte auf eine gute Haltung. Will selbstsicher und klar wirken. Ich geniesse die Aufmerksamkeit in vollen Zügen. „Wusstet ihr, dass die Masken, die ihr heute tragt, ursprünglich aus Paris stammen? Dominik Kälin“, ich schaue mich um. Mache einige Schritte und weise mit der Hand auf ihn, „hat 1871 diese Maskenherstellung in Paris gelernt.“
Dominik macht einen Schritt aus dem Kreis und verneigt sich höflich vor der Menge. Der Applaus bleibt weg. Die Maschgraden verstehen nicht, was mit ihnen geschieht. Dominik erfasst das Wort: „Es ist für mich eine grosse Ehre, hier zu sein. Vielen herzlichen Dank für die Einladung.“ Er nickt mir kurz zu. Dann wendet er sich wieder der Menge zu. „Bevor ich nach Paris reiste, hat Adelrich Oechslin schwere Wachsmasken hergestellt. Nach seinem Tod haben seine Frau Helena Oechslin und ich uns Gedanken über eine neue Machart gemacht, die einfacher und effizienter zu produzieren war. Helena und Adelrich Oechslin sind heute auch unter uns. Nach Paris bin ich dann zurück nach Einsiedeln gekommen und habe Wachsmasken nach Pariser Art hergestellt. Helena hat diese in ihrer Maskengarderobe verkauft.“ Er schaut sich abermals um und nickt bestätigend mit dem Kopf. „Ich erkenne die Masken wieder. Sie sehen auf den ersten Blick unverändert aus. Ich dachte nicht einmal im Traum daran, dass diese Masken hundertfünfzig Jahre später immer noch getragen werden.
Das Geschäft lief damals nicht besonders gut. Und ich dacht einen Moment, dass wir es nicht schaffen werden. Aus dieser Notlage heraus hat dann meine Frau Aloisia die Preise überarbeitet. Dank ihr konnten wir den Umsatz steigern.“ Er wirft seiner Frau Aloisia einen anerkennenden Blick zu. Sie fährt weiter: „Unsere Hausangestellte Bertha Kromer hat die Herstellung weitergeführt. Ich denke, sie sollte auch hier sein. Wo bist du?“ Sie schaut sich suchend um.
„Hier, ich bin hier!“ Bertha hebt die Hand. Aloisia geht auf sie zu und umfasst ihre Hand mit beiden Händen. „Danke Bertha.“ Zu allen gewandt: „Bertha hat anfänglich mit mir und dann später mit der Hilfe ihres Mannes das Geschäft weitergeführt.“ Bertha lächelt sie liebevoll an. Löst ihre Hände aus der Begrüssung und macht einige Schritte aus dem Kreis. Aloisia stellt sich in den Hintergrund.
„Ich bin überglücklich hier zu sein. Ari Drückerin hat mich letzte Woche in meiner Werkstatt besucht. Sie erzählte mir, dass über meine Zeit fast nichts bekannt ist. Es gibt anscheinend keine handfesten Beweise, die die Existenz von Masken-Schupp, so der damalige Name, bestätigen. Ich erzählte ihr dann, dass offiziell mein Mann Robert Schupp der Besitzer der Maskenfabrik war, inoffiziell habe ich jedoch die Verantwortung für die Produktion getragen. Robert stand immer hinter mir und unterstützte mich, wo er konnte, jedoch hatte er noch eine Gummieranstalt. Das war sein Geschäft.“ Sie schenkt dem Mann neben ihr ein herzliches Lächeln. Fährt dann weiter.
„Ich habe bei Aloisia und Dominik Kälin die Herstellung der Wachsmasken gelernt. Es machte mir viel Spass, handwerklich zu arbeiten und gleichzeitig verantwortlich für den administrativen Teil zu sein. Ich hatte ein tolle Zeit. Später haben wir dann die Maskenfabrik an Friedrich Müller in Speicher AR verkauft.“ Sie schaut sich suchend um und erschrickt, als die Stimme an ihrer rechten Seite spricht. „Der bin ich. Mein Name ist Friedrich Müller.“
Immer noch Stille. Kaum merklich nähern sich die Maschgeraden. Wir, die Maskenfabrikantinnen, haben den Halbkreis um das Feuer aufgelöst und stehen nun in einer Linie vor der Menge. Wir fühlen uns wie Schauspieler, die sich dankend vor ihrem Publikum verneigen. Friedrich Müller fährt weiter: „Ich habe dann von Bertha und Robert Schupp-Kromer die Maskenfabrik 1925 gekauft. Ich liebte es eure Masken herzustellen.“
„1951 ist dann Friedrich leider überraschend früh gestorben. Ich habe dann die Maskenfabrik übernommen. Unsere drei Kinder waren noch klein. Das war eine sehr strenge Zeit. 25 Jahre später habe ich dann die Maskenfabrik Müller, so der Name zu meiner Zeit, nach Gersau an die Schappespinnerei verkauft. Wo der Exmann von Ari Drückerin Angestellter war.“ Sie lächelt mich an und übergibt mir das Wort: „Mein Mann und ich haben die Fabrik geführt. Nach zwölf Jahren hat er eine andere Arbeit angenommen. Und seitdem arbeite ich alleine.“ Ich stelle mich zurück in die Reihe und wir verbeugen uns respektvoll vor den Maschgeraden.

Tosender Applaus.

Wir fallen uns in die Arme. Feiern und tanzen mit den Maschgeraden um das Feuer. Um Mitternacht lösen sich die Masken der Maschgeraden und werden von den Flammen verschlungen.

Zurück bleiben die weinenden, demaskierten Maschgeraden.
Und ich, die Drückerin.

*Beitragsbild, brennende Maske, 5. März 2019, Foto, Mike Flam
**Audioaufnahmen, Fasnacht 5. März 2019