Stille

Arbeitsalltag, Im Atelier der Drückerin, Maskenherstellung

Stille. Um diese Jahreszeit. Kurz vor der Fasnacht. Das kam noch nie vor. Stille. Sie füllt das Atelier. Verhüllt die Gipsformen. Lässt sie in einen ruhigen Schlaf betten. Stille. Heute fühlt sie sich schwer wie Blei an und hindert die Masken am Erwachen.

Kein Telefonat. Keine Kunden. Am Morgen betrachte ich mich genauer als sonst im Spiegel. Beruhigt stelle ich fest, dass ich noch da bin. Alles scheint sich aufzulösen. Jegliche Alltagsstrukturen wirbeln herum. Ich mitten drin. Beobachte die Szenarien. Manchmal bin ich selbst Teil davon. Dann geh ich spazieren. Die kühle Luft fegen meine Gedanken weg. Ich kann wieder atmen.

Zurück in meinem Atelier unterdrücke ich den Wunsch, mich unter die warme Decke zu verkriechen. Stattdessen lasse ich den Wachstopf erwärmen. Eine kurze Pause. Ich mache mir einen Kaffee und lege mich auf das Sofa. Was soll’s. Hirne eben wieder etwas herum. Diese Community Masken kann ich vielleicht wirklich verkaufen. Ich habe sie gestern einer Freundin gezeigt. Sie war begeistert und meinte: „Früher hätte sie diese Masken liebend gerne an einer Party getragen.“ Ich stelle mir vor, wie die Leute mit meinen Masken Nächte durchtanzen. Fast wie zu Louis XIV Zeiten. Damals wurden ebenfalls Wachsmasken getragen. Gut möglich, dass die Machart Ähnlichkeiten mit meinen Masken hat.
So, Schluss mit diesen Träumereien. Gehe ins Atelier.

Die Corona Masken möchte ich festlich schmücken. Wie wäre es mit Glimmer? Ich krame in einer alten Schublade. Das Regal und der Glimmer, Erbstücke aus vergangenen Zeiten. Ich entscheide mich für schwarzen und goldenen.

Der Bienenwachs ist in der Zwischenzeit geschmolzen. Die Maske liegt bereit. Daneben ein Topf Glimmer. Es funkelt hübsche kleine Leuchtpünktchen. Wie die Sterne am klaren Nachthimmel. Ich neige den Kopf hin und her. Wie alt mag wohl dieser Glimmer sein? Welche Hände haben ihn schon berührt? Sicher Rosa Müller, aber vielleicht auch Bertha Schupp? Lustig diese Vorstellung.
Wenn es so weiter geht mit mir, beginne ich noch mit dem Glimmer zu sprechen. Ich schmunzele über mich selbst. Nehme eine Handvoll Glimmer und lasse ihn verträumt durch meine Finger rieseln. Behandle die Maske mit heissem Wachs und streue die Leuchtünktchen darüber. Es funkelt. Ich blinzle. Beim zweiten Mal bleiben meine Augen geschlossen. Das Funkeln wiederholt sich vor meinem inneren Auge. Aber. Dieses Mal in Zeitlupe. Wie bei den Morsezeichen gibt es längeres und kürzeres Funkeln. Ich werde von einem zum anderen Funken geführt. Funkenlesen. So könnte man das nennen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit. Der letzte Funken ist gefallen. Ich öffne die Augen. Es ist dunkel im Atelier.