Krisentreffen

Arbeitsalltag, Im Atelier der Drückerin, Maskenherstellung

Nachdem wir unsere Bäuche vollgeschlagen haben, ergreift Rosa das Wort: „So, liebe Ari, erzähl mal, was treibt dich so um? Wie kommst du mit der Coronasache klar?“ „Anfangs dachte ich, das wird einfach wieder vorbei gehen und ich bin mit einem blauen Auge davon gekommen. Schliesslich fand kurz vorher noch die Fasnacht statt. Tja, da habe ich mich leider getäuscht. Ich weiss nicht weiter.“ Mein Blick fällt auf den leeren Teller. Alle schauen mich an. Ich rücke mich auf dem Stuhl zurecht. „Ich brauche euren Rat. Ich stecke fest.“ Bertha trinkt einen Schluck Wein:
„Dann erzähl mal. Deine Situation erinnert mich an meine Anfangszeit. Wenige Jahre nachdem ich die Maskensammlung von dir, Dominik, übernahm“, sie nickt ihm kurz zu, „brach der erste Weltkrieg aus. Und als ob das nicht reichen würde, wütete 1918 auch noch die Spanische Grippe.“ Da gab es durchaus Momente, in denen wir nicht mehr ein und aus wussten. Es gibt jedoch einen wesentlichen Unterschied zu heute. Weil es damals keine Medikamente gegen die Grippe gab, war die Welle kurz und sehr heftig. Es starben viele Menschen. Im Februar 1919 war alles vorbei und die Fasnacht konnte das erste mal seit vier Jahren wieder öffentlich stattfinden. Das war grossartig! Die Stimmung war einfach genial! Ich habe so viele Masken wie noch nie verkauft!“ Weitere Erinnerungen an schwierige Zeiten werden ausgetauscht. Rosa: „Ich führte die Maskenwerkstatt mit meinem Mann Friedrich durch den 2. Weltkrieg. Doch die heutige Situation ist nicht wirklich mit damals zu vergleichen. War Krieg, hat die Fasnacht trotzdem stattgefunden. Im Geheimen zwar, aber ich konnte immer einige Masken verkaufen. Kaum war der Krieg vorbei, boomte das Geschäft. Wie bei dir Bertha. Heute ist es anders. Die Leute haben Angst um ihre Gesundheit. Man darf sich ja nicht mal treffen!“ Kopfschüttelnd lehnt sie sich zurück. Helena: „Du siehst, die Masken sind sich Krisen gewohnt. Nutze deren Erfahrung und spreche mal mit ihnen, vielleicht haben sie ja eine Idee.“ Sie lacht auf: „Ich habe oft mit den Masken gesprochen, die kennen mein ganzes Leben.“ Bertha ergänzt: „Die wissen bestens Bescheid über all unsere Leben!“ „Ihr habt recht. Die Maskenformen selbst müssen es wissen.“ Lachend fasste ich mir an den Kopf. „Wenn ich nur wüsste wie ich sie erreichen könnte.“ „Ok, lassen wir dieses Gedankenspiel.“ beendet Dominik den Ausschweif. „Schliesslich, wirst du tatsächlich pleite gehen, wenn du nichts unternehmen wirst.“
„Genau. Ich habe mir bereits Gedanken gemacht, wie wir, die Masken und ich, die Coronazeit überstehen können.“ Ich richte mich auf. Spüre wie meine Stimme wieder an Kraft gewinnt. „Niemand weiss, wie lange unser Leben von dem Virus beeinflusst sein wird. Ich kann also nicht einfach abwarten. Da gibt es für uns nur die Möglichkeit, selbst Corona Masken herzustellen.“ Ein skeptischer Blick in die Runde. Schliesslich bin ich noch nicht ganz überzeugt von dieser Idee. Dominik: „Find ich gut die Idee. Sehr naheliegend.“ Rosa fügt hinzu: „Die Schwierigkeit ist, dass du mit Massenprodukten konkurrierst und einen komplett neuen Kundenkreis aufbauen musst.“ Bertha: „Find ich super. Das bietet ganz neue Chancen! Erzähl, was hast du dir ausgedacht?“

„Maskenfabrikat heisst die neue Linie. Das sind Corona Masken, die Mund und Nase abdecken. Diese, meine neuen 🙂 Masken müssen eine dickere Wachsschicht haben, damit sie desinfizierbar sind. Mehr hab ich noch nicht. Ich habe mal recherchiert. Meine Maske lässt keine Tröpfchen durch, filtert aber die Luft nicht. Das sei besser als gar keine Maske. Ich habe schon mal etwas getestet.“ Stehe auf und hole die Schachtel mit meinen Prototypen.

Erste Prototypen von Community Masken, Ari Drückerin, Nov. 2020

„So, hier sind mal einige Versuche.“ Ich hole eine nach der anderen raus. Breite sie auf dem Tisch aus. „Wie ihr seht, habe ich im gleichen Zug auch noch die Materialien getestet. Dominik sagte einmal, dass er nur Bienenwachs nutzte. Zu eurer Zeit war Paraffin noch gar nicht so verbreitet. Dann sagte mir Bertha, dass sie ausschliesslich mit Leinen und Baumwolle arbeitete. Und den Weissleim, den ich wegen der Stabilität immer nutzte, liess ich weg. Sieht gut aus, oder?“

Alle fassen eine Maske an. Befühlen sie ausgiebig. Riechen daran. „So haben meine Masken gerochen. Reiner Bienenwachs. Wie zur Weihnachtszeit.“ Dominik riecht theatralisch daran. „Der Wahnsinn!“ Helena befühlt die Maske mit der grossen Nase. „Schön weich und fein. Sie sind aber dicker, als meine Pariser Wachslarven.“ „Das stimmt. Sie haben eine Wachsschicht mehr bekommen. Ich dachte, dann können sie besser desinfiziert werden.“ „Und öfters getragen werden.“ ergänzt sie.

Bertha hat sich in der Zwischenzeit die Neutrale Maske aufgesetzt und läuft in der Wohnung herum. „Die sitzt ja perfekt! Wie angegossen!“ Sie tastet ihr Gesicht ab. „Ari, das funktioniert. Ich sags dir!“ Helena: „Kriegst du überhaupt Luft?“ „Na, ja, ich glaub schon.“ Bertha nimmt einen tiefen Atemzug. Ein Vakuum entsteht. Die Maske drückt sich tief in ihr Gesicht. Sie bekommt keine Luft. Sie beugt sich vor und schüttelt ihren Kopf. „Bist du ok?“ Frage ich besorgt. Sie nickt. Ein ersticktes Lachen kommt heraus. Sie richtet sich auf und schaut mich an. Ihre Augen füllen sich mit Tränen. Ihr Körper zittert. Sie rennt ins Badezimmer und betrachtet sich im Spiegel. Helena und ich folgen ihr. Bertha dreht sich zu uns um. Nimmt die Maske ab und meint mit atemholender Stimme. „Ich glaube, da müssen wir uns noch etwas einfallen lassen.“ „Da hast du wohl recht.“ antworte ich lachend. „Sitzen tut sie ja schon mal!“

Foto der neutralen Maske folgt.

Zurück am Tisch besprechen wir gemeinsam die nächsten Schritte. Als nächstes werde ich mich auf die Suche nach einem virentötenden Stoff machen. Falls es das überhaupt gibt.

**Beitragsbild: Community Maske