Besuch bei Dominik Kälin – Teil 2

Arbeitsalltag, Besuch bei Maskenfabrikantin, Maskenherstellung

Helena Oechslin (1822-1909) hat mir den Weg und das Haus beschrieben. Tatsächlich befindet sich die Werkstatt von Dominik Kälin in unmittelbarer Nähe. Die Schindelfassade hat schon seit langer Zeit keine Farbe mehr gesehen. Von aussen gibt es keine Merkmale einer Maskenwerkstatt. Zwei Eingänge. Ich vermute, links führt zur Wohnung und rechts in die Werstatt. Am Türschild steht Kälin. Was wird mich hinter dieser Tür erwarten?

Haus der Maskenwerkstatt von Dominik Kälin (1872 bis 1909), 2019

Haus der Maskenwerkstatt von Dominik Kälin (1872 bis 1909), 2019

Durch das Glasfenster erkenne ich eine Gestalt. Dominik Kälin öffnet die Tür. Sein Aussehen ist mit seinem Portraitbild identisch.
„Grüezi Herr Kälin.“
„Sie müssen Frau Drückerin sein. Helena hat mich eben angerufen und mir Ihr Kommen angekündigt. Sie hat mich gebeten, Sie rein zu lassen und Ihnen meine Werkstatt zu zeigen. Sie müssen wissen, für solche Dinge hab ich im Moment eigentlich keine Zeit. Aber kommen Sie doch rein.“
Die Werkstatt besteht aus drei Räumen. Im grössten Raum gibt es in der Mitte eine grosse Arbeitsfläche. Stapel von Masken. An der Wand dahinter ein Stoffregal. In der Ecke links von mir wird gemalt. Eine Herdplatte, viele Pülverchen, Pinsel und Lappen sind fein säuberlich angeordnet. Hier werden also die Farben hergestellt. Mir sagen die einzelnen Objekte nicht viel. Ich erinnere mich aber an die alchemistische Beschreibung in den Notizbüchern von D. Kälin:

„Behandlung der feinen Wachsmasken
Wan die Masken aufgelegt sind, so macht man die Wangen, wann die Masken noch nass sind, zu den Wangen nimt man in die Apotheke schöne rothe Schminke, die Schminke nimt man trocken an einen Pinsel.[…]
Wann die Masken trocken sind so schlägt man die Augen aus, dann ferner werden die Masken warm geprägt, nachher schminkt man den Mund aus. […] Zum Mallen nimt man gut geriebener Gumi.[…]
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Man nimt 10 Blatt Schelatin und löst selbigen in einem Drinkglas voll Wasser auf, in einer Pfanne sidetem Wasser, wann der Schellatin aufgelöst ist, nimt man eine Eier- schüssel giesst den Schelatin darin und fühlt das Einerschlüssel mit der geribnen Plange-Prun
stellt die farbe in heisses Wasser dass selbige immer flüssig ist. Nachher streicht man die Maske 2 mal an. […]Dann nimmt man 10 Blatt Schelatin und löst selbigen in 1 1/2 Drinkglas voll Wasser auf, nacher werden die Masken mit dism aufgelösten Schelatin 1 mal angestrichen. Wann die Masken ganz gut trocken sind, so nimt man rohte Schminke vermischt selbige mit etwas weiss… werden den die Wangen…geriben. […] Nachher werden die Masken bemalt nach gut finden. **

Dominik Kälin geht in einen Raum rechts des grossen Arbeitstisches.
„Kommen Sie mit. Ich muss noch eine Bestellung fertig kriegen, während dessen können wir uns gerne unterhalten.“
Der Raum ist klein. Es gibt nur ein Fenster. Die rechte Wand ist vollgestellt mit den Gipsformen. Links ein tiefes metallenes Waschbecken. Dominik Kälin setzt sich an den Tisch vor dem Fenster. Er nimmt sich eine Maskengipsform, fettet sie ein und massiert zwei Schichten Gaze und einen bunten Baumwollstoff mit Leim ein. Ich kenne die Handgriffe in- und auswendig. Bin erstaunt wie identisch die Machart mit meiner zu Hause ist.

Abb. 1 bis 3, Weber-Kellermann Ingeborg: Die Maskenmacher aus dem Thüringer Wald, in: Hessische Blätter für Volkskunde, Band 55/1964, S. 124-125

Abb. 2

Abb. 3

Drücken einer Maske, 2019

Nach drei Minuten ist eine Maske fertig gedrückt. Er legt sie links auf einen Holzrost.
„Nehmen Sie sich doch einen Stuhl und setzen Sie sich zu mir.“
Ich schaue mich um. Finde einen Schemel.
„Jetzt erzählen Sie mal. Helena meinte, Sie werden in hundert Jahren die selben Masken herstellen? Wie kommt das?“
„Vor einigen Jahren habe ich eine Maskenformensammlung gekauft und seit kurzem interessiere ich mich für die Herkunft dieser Formen. Ich habe in den offiziellen Fasnachtsbüchern keine historische Fakten über diese Wachsmasken gefunden. Da dachte ich mir, dass ich persönlich in den Werkstätten meiner Vorfahren vorbeigehen möchte und so etwas über ihr Leben und die Arbeit erfahren werde.“
Dominik fasst einen gelben Baumwollstoff und legt ihn über die Maske. „Interessanter Plan. Sie sagen also, dass sie diese Arbeit hier kennen?“
„Genau, jeden Morgen drücke ich ca. 20 Masken.“
Dominik hebt die Form. Legt sie auf den Rost. Fasst die nächste Maskenform.
„Hier, zeigen Sie. Das möchte ich sehen.“
„Echt jetzt?“
Dominik rückt mit seinem Stuhl zur Seite. Mit der Form vor mir beginne ich mit der Arbeit. Ich spüre seinen Blick auf meinen Händen.
„Sie machen das ganz gut. Wahnsinn, dass dieses Handwerk überlebt.“ Der Holzrost ist jetzt mit fünf gedrückten Masken vollständig belegt. D. Kälin steht auf. Geht nach draussen und kommt mit einem leeren Rost wieder zurück.
„Im Moment geht es hier zu wie in einer Bäckerei. Masken werden gedrückt, dann ab auf den Kachelofen zum Trocknen. Und am nächsten Morgen die Masken von der Form lösen. Dann das Ganze wieder von vorne. Aus diesem Grund ist es bei uns den ganzen Winter über gemütlich warm, eben wie in einer Backstube.“ Er lacht vor sich hin. „Was erzähle ich Ihnen da, das kennen Sie ja aus eigener Erfahrung.“ Dominik nimmt wieder seinen Platz ein.
„Das ist wahr. Im Winter kann diese Trocknungszeit besonders stressig sein. Sie kann bis zu 24 Std. dauern.“
„Bei mir auch. Ist es in Ordnung für Sie, wenn Sie mir kurz helfen? Ich habe gestern eine grosse Bestellung bekommen, ich weiss nicht, wie ich die ohne eine Nachtschicht bewältigen kann. Der Jüngste bin ich auch nicht mehr. Früher machte mir das nichts aus. Heute ist das anders.“
„Kann ich gerne machen. Haben Sie mir noch eine Arbeitsschürze?“
„Klar, hier.“
Ich binde mir die Schürze um.
„Also, wenn wir jetzt schon Arbeitskollegen sind, dann können wir uns auch duzen, oder?“ Er lächelt mich an und reicht mir seine mit Leim beschmierte Hand hin. Ein angenehm fester Händedruck.
„Ich bin Dominik.“
„Freut mich. Ich bin Ari.“
„Auf unsere Zusammenarbeit!“
Wir nehmen uns je eine Maskenform. Bestreichen die Form mit Fett. Tauchen die Gaze in Wasser. Legen sie über die Masken und massieren den Stoff möglichst faltenfrei ein. Wir sind im gleichen Moment fertig. Legen die Formen auf den Rost. Die nächste folgt unmittelbar.

*Beitragsbild, grosser Arbeitstisch mit Masken, um 1980
**Transkribiert von Dominik Wunderlin, 2018