Besuch bei Bertha Schupp-Kromer

Besuch bei Maskenfabrikantin, Maskenhistorie

Heute bin ich nach St. Gallen zu Bertha Kromer (1875-1961) gereist. Eine Stunde Zugfahrt. Kurz mit dem Bus und dann noch einige Meter zu Fuss. Es war eisig kalt. Dachte sehnsüchtig an meine Handschuhe zu Hause. Falkenstrasse 64 heisst die Adresse.

Von aussen ein nettes Gebäude. Ich klingle. Eine sympathische kleine, zierliche Frau öffnet die Tür. Modisch bunt gekleidet. Sie sprüht vor Lebensenergie.
„Sie müssen Frau Drückerin sein. Schön sind Sie da.“ Wir geben uns die Hände und sie lässt mir den Vortritt. Ich befinde mich gleich inmitten der Werkstatt, in der mir bekannten Umgebung. An einer Wand sind alle 400 Maskengipsformen ausgestellt, die feinsäuberlich mit Nummern angeschrieben sind. So kann der Kunde gleich selbst eine passende Maskenform auswählen. Schöne Idee. Werde ich mir merken.
In der Mitte ein Junge an einem grossen Tisch. Belagert mit Masken. Er arbeitet konzentriert. In einer Ecke bemalt ein Mann Masken. Bertha Kromer stellt mich vor.
„Das ist Ari Drückerin, von ihr habe ich eben erzählt. Sie wird in hundert Jahren unsere Masken herstellen.“ Zu mir gewandt. „Das hier“, sie zeigt auf den Mann, der die Masken anmalt, „ist mein Mann Robert (1886-1936). Er hilft uns aus kurz vor der Fasnacht. Aber sonst hat er sein eigenes Geschäft. Und das sind unsere Söhne. Der Eine malt bei seinem Vater und der Andere dekoriert. Sie verdienen sich gerne etwas Taschengeld.“ Die Jungen blicken nicht auf. Sie sind es sich gewohnt bei der Arbeit beobachtet zu werden. „Und dort drüben arbeitet noch unsere einzige Mitarbeiterin Priska. Ansonsten habe ich noch einige Heimarbeiterinnen. Schauen sie sich ruhig um. Ich geh in die Küche und mache uns einen Tee.“
„Darf ich fotografieren?“
„Klar kein Problem. Bis jetzt haben wir uns noch keinen Fotografen leisten können. Das sind unsere ersten Bilder.“ Sie lacht, dreht sich um und geht.
Im Hintergrund läuft Radio. Ich schaue mich um und mache einige Fotos.

Weber-Kellermann Ingeborg: Die Maskenmacher aus dem Thüringer Wald, in: Hessische Blätter für Volkskunde, Band 55/1964, S. 113

Bertha kommt zurück mit der Teekanne und wir setzen uns an einen kleinen runden Holztisch. Sie schenkt uns ein. „Hier können wir uns in Ruhe zu zweit unterhalten.“ Ich ziehe meine Jacke aus und hänge sie über die Stuhllehne.
Dominik hat mir bereits viel von Ihnen erzählt. Und ich freue mich sehr, dass Sie auch mich besuchen.“
„Gleichfalls. Ich freue mich auch hier zu sein. Über Sie ist mir fast nichts bekannt. Die Archive haben keine Daten oder irgendwelche Informationen von Ihnen und ihrer Maskenfabrik. Sie sind für mich also ein unbeschriebenes Blatt.“ Ich lache etwas zu laut über meine Bemerkung. Wohl doch etwas nervös.
„Das ist doch eine gute Ausgangslage. Alles ist möglich.“ Sie lacht.
„Genau. Dann erzählen Sie doch einfach mal drauflos. Wie kommt es, dass sie Masken herstellen?“ Bertha nippt kurz an ihrem Tee. Stellt die Tasse zurück und schaut mich an.
„Nach der Schule habe ich ein Haushaltslehrjahr in Einsiedeln gemacht. Dort habe ich die Maskenfabrik von Dominik Kälin (1841-1909) kennen gelernt. Ich war von seiner Arbeit begeistert. Also habe ich mich später bei ihm und seiner Frau Aloisia (1839-1915) als Hausangestellte beworben. Schon kurze Zeit später durfte ich auch kleinere Arbeiten in der Maskenwerkstatt übernehmen. Das war für mich ein netter Nebenverdienst. So habe ich über zehn Jahre bei den Kälins gearbeitet, bis dann schliesslich 1909 Dominik überraschend verstorben ist.“
Ich höre aufmerksam zu. Geniesse, wie sich die Fäden ineinander verweben. Das Erzählte passt zu meinen recherchierten Eckdaten.
„Nach seinem Tod war Aloisia alleinige Geschäftsinhaberin der Maskenfabrik geworden. Sie war überfordert mit der Situation und fragte mich, ob ich nicht mit ihr vorübergehend zusammenarbeiten möchte. Ich könne die Arbeit von Dominik übernehmen und sie würde weiterhin die Administration und das Kaufmännische machen. Ich sagte spontan zu. Ich wusste, das konnte nur gut gehen.“
„Das bedeutet, dass du mit Aloisia Kälin die Maskenfabrik für einige Jahre geführt hast?“
„So ist es. Es war eine schöne Zeit. Ich habe viel gelernt. Schritt für Schritt hat Aloisia mich dann auch in die kaufmännsiche Arbeit eingeführt. Ich lernte Rechnungen zu schreiben. Rohmaterialien einzukaufen. Einfach all das, was so ein Geschäft braucht. Sie wissen ja sicher, von was ich spreche.“ Sie schaut mich lächelnd an. Ich nicke bestätigend.
„Aloisia war damals auch schon in einem fortgeschrittenen Alter. Erben keine in Sicht. Und so kam ich zum Zug.“ Sie schaut in Gedanken versunken aus dem Fenster. Ich trinke etwas Tee. Geniesse die kurze Sprechpause. Interessant, was Bertha erzählt. Die Jahre nach 1909 werden nachvollziehbarer. Bertha setzt fort.
„Es war für beide Seiten ein Glückstreffer. Der einzige Haken war das Geld. Mit meinem Hausangestellen-Lohn konnte ich natürlich nichts beiseite legen. Eines Tages habe ich dann meinen Mann Robert gefragt, ob er mich finanziell unterstützen könnte, sodass ich die Maskenfabrik übernehmen kann. Er war einverstanden. 1914, also vor vor sechs Jahren, habe ich dann die Maskenfabrik gekauft. Ein Jahr später starb Aloisia Kälin. Mein Mann wollte dann zurück nach St. Gallen. Wir hatten unterdessen zwei Söhne: Arthur und Robert. Robert war gerade mal wenige Monate alt. Und jetzt arbeiten sie schon fleissig mit, wie die Zeit vergeht.“ Bertha nickt zu ihren Söhnen.
„Es war für mich eine grosse Umstellung ohne Aloisia zu arbeiten. Besonders mit den Buben ist das nicht immer einfach. Mein Mann hilft so gut er kann, aber wie gesagt, er hat noch ein anderes Geschäft, eine Gummieranstalt, um das er sich zu kümmern hat. Es ist alles etwas viel. Und doch möchte ich mein Leben um nichts in der Welt eintauschen. Ich liebe es, Geschäftsfrau zu sein. Masken herzustellen und zu verkaufen. Es ist eine sehr vielseitige Aufgabe. Seitdem unsere Söhne mitarbeiten können, muss ich nicht mehr bis spät in die Nacht arbeiten.“
„Wie läuft das Geschäft? Verkaufen Sie viele Masken?“
„Der Umsatz steigt jedes Jahr. Jetzt nach dem Krieg geben die Leute gerne Geld für Feste aus.“
„Ich habe beobachtet, dass, wenn die Wirtschaft schwach ist, das Interesse für Masken steigt. In unsicheren Zeiten wird mehr auf Tradition gesetzt und anscheinend auch in Nachkriegszeiten.“
„Gut für uns.“ Wir lachen.

Wir trinken unseren Tee aus. Verräumen das Geschirr und Bertha macht sich wieder an die Arbeit. Ich verbringe noch einige Stunden in der Maskenfabrik. Habe mich noch gut mit den anderen Leuten unterhalten.

Mit dieser Begegnung schliesst sich der Kreis meiner Recherche. In den ersten Blog-Beiträgen erzählte Rosa Müller-Diethelm (1910-2003), dass ihr Mann Friedrich (1902-1951) die Maskenfabrik von Robert Schupp abgekauft hat. Buchhalterisch betrachtet ist das sicher korrekt. Doch dessen Frau Bertha Schupp-Kromer war die eigentliche Fabrikantin hinter Masken-Schupp.

*Beitragsbild, Drückerstube um 1980, Privatarchiv